Notizen aus Terni

Die Stadt des Stahls

Der wirtschaftliche Kern der Stadt ist die in der Moderne stets krisengeschüttelte Stahlproduktion. Nach der Einigung Italiens im Jahre 1870 suchte der italienische Staat nach einem Standort für seine Rüstungsproduktion. Die Wahl fiel auf Terni, eine Stadt, die zum Kirchenstaat gehört hatte, die rückständig und ländlich geprägt war und die damals ungefähr 22 600 Einwohner zählte. Terni bot zwei entscheidende Vorteile: Durch den Wasserfall gab es ausreichend günstige Elektrizität, und anders als in den großen Städten fehlte ein Industrieproletariat. Die vom umliegenden Land stammende Arbeiterschaft war nicht organisiert, und sie war es nicht gewohnt, für gewerkschaftliche und politische Ziele zu streiken. Das große Stahlwerk wurde dann 1884 eröffnet, und die Einwohnerzahl explodierte. Um 1900 zählte man bereits ungefähr 40 000 Einwohner. 

 

Tritt man aus dem Bahnhof, sieht man als eines der Wahrzeichen der Stadt die Presse, mit der aus flüssigem Metall Stahlblöcke gepresst wurden. Sie ist 17 Meter hoch und konnte mit einer Kraft von 12 000 Tonnen pressen; sie war von 1935 bis 1993 in Betrieb. Als Industriedenkmal steht sie seit 1993 am heutigen Standort. 

 

Aldo Pomodoro: La Lancia di Luce

Dem Bahnhof diametral entgegengesetzt, am Eingang zum Stadtzentrum, steht ein weiteres Symbol für die Stahlstadt. Hier steht die ‘Lichtlanze’: 90 Tonnen schwer, 30 Meter hoch und die untere Kantenlänge misst 5 Meter. Aldo Pomodoro (1926 - 2025), der bedeutendste plastische Künstler Italiens der Nachkriegszeit, dessen Skulpturen weltweit zu sehen sind, hat sie geschaffen. 

 

Nach zehn Jahren Vorarbeit in rund 10 000 Arbeitssstunden wurde der Obelisk 1995 errichtet. Mit Hilfe von unterschiedlichem Sand für die Gussformen aus teils entfernt gelegenen Gruben wurden verschiedenste Oberflächenstrukturen geschaffen. Pomodoro widmete das Werk den Stahlarbeitern. Er wollte ein Beispiel dafür schaffen, dass der Guss von Stahl und seine Bearbeitung eine diffiziele Handwerkskunst voraussetzt.  Mit anderen Worten: Die Skulptur steht nicht nur für die industrielle Vergangenheit der Stadt; auch deren Zukunft soll eine technisch hoch entwickelte Stahlproduktion sein.

 

Der Obelisk besteht aus rostfreiem Stahl und zeigt die verschiedenen Stufen des Metallgusses; das unterste Element scheint Roheisen, das oberste Gold zu sein. Die unzähligen Brüche im Metall mit ihren Hell-Dunkel Effekten stehen für die Narben der Geschichte, wohingegen die verjüngte Spitze auf eine hoffentlich strahlende Zukunft zeigt.

Die Stadt der Liebe und der Verliebten

Tourismusmarketing mit dem Thema Stahl ist schwierig. San Valentino, der vermutlich erste Bischof der Stadt, bietet ein schöneres Thema. Er gilt als der Patron der Liebe und der Verliebten, und der in Italien überall präsente Glaube an wunderwirkende Heilige ist günstig für die Verbreitung des Kultes.

Die historischen Fakten sind unklar. Er soll im Jahr 273 den Märtyrertod erlitten haben; neuere Meinungen sprechen vom Jahr 347.  Sein Vergehen bestand darin, missioniert zu haben.  Seine Anhänger bestatteten den Leichnam in dem - wie es römischer Tradition entsprach - außerhalb der Stadt gelegenen Gräberfeld. Schon bald entstanden Legenden um seine Person, die die unauflösliche christliche Ehe zum Thema hatten. Wie nicht unüblich in frühchristlicher Zeit pilgerten die Gläubigen zu seinem Grab, und im 4. oder 5. Jahrhundert wurde darüber das erste Kirchlein errichtet.

Zwei Legenden sind es vor allem, die San Valentino zum Patron der Liebe gestalten. Einmal soll er zwei Verlobte beobachtet haben, die heftig stritten. Er näherte sich ihnen mit einer Rose in der Hand, und er umschlag den Stil der Rose mit ihrer beider Hände, darauf achtend, dass sie nicht gestochen würden. Das Paar versöhnte sich augenblicklich und erbat den Segen des Heiligen für die kommende Hochzeit. Eine andere Erzählung ist die von Serapia und Sabino. Sabino, ein römischer Zenturio und noch Heide, verliebt sich in Serapia, eine junge Christin; beider Eltern sind aus religiösen Gründen gegen die Verbindung.. Aus Liebe konvertiert Sabino, doch kurz darauf wurde Serapia schwer krank. Sabino bat Valentino darum, dass sie niemals getrennt würden, und noch während der Heilige sie segnete, starben beide, sich umarmend und vereint für immer.

 

Mitte Februar wurden in römischer Tradition die Lupercalia gefeiert, ein dem Gott Lupercus geweihter Fruchtbarkeitskult. Papst Gelasius ließ 496 das Fest christlich umdeuten und führte als Ersatz dafür den Valentinstag ein.

 

Um die Mitte des 7. Jahrhunderts wurde die frühchristliche Basilika den Benediktinern übertragen, und in deren monastischem Netz fand der Valentinskult Verbreitung nach Frankreich und vor allem nach England und dann in der Neuzeit in die USA, von wo aus er in der heute bekannten kommerziellen Form wieder nach Europa zurückschwappte.

 

Der Langobardenkönig Luitprand bestand, als er 742 Papst Zacharias traf, auf dem Grab Valentins als Ort der Begegnung, da von dort eine wunderwirkende Kraft ausgehen sollte. Seit dem späten Mittelalter mehren sich die Zeichen für einen Valentinstag am 14. Februar, jedoch ohne expliziten Bezug zur Stadt Terni.

 

Die heutige Basilika erhielt ihr Aussehen im 17. Jahrhundert, nachdem die vermeintlichen Überreste des Heiligen exhumiert worden waren. Heute gibt es am und um den Valentinstag eine Vielzahl von Events; das älteste ist sicher der Valentinsmarkt, heute kommen Kino, Theater, Musik, Lesungen und andere kulturelle Begegnungen dazu.

 

 




In der Basilika steht ein Körbchen mit Hoffnungen und Zweifeln, bei denen San Valentino zum Einschreiten gebeten wird.