Sismano
Auf 433 Metern Höhe gelegen, weht hier auch im Hochsommer stets eine frische Brise. Endlos gleitet der Blick über die leicht hügelige Landschaft, in der hauptsächlich Olivenbäume stehen. Der mittelalterliche Borgo Sismano, ungefähr 13 Kilometer südlich von Todi gelegen, ist ein Ort der Stille. Kaum ein Auto verirrt sich hierher. Unterhalb der Burg liegen an der einzigen Straße, die bergan zu Burgtor und der dazugehörenden Kirche führt, in einem Halbkreis 13 Häuser eng beieinander. Drei der Häuser sind noch bewohnt, die anderen stehen teilweise seit Jahrzehnten leer.
Es ist ungewiss, ob Sismano ein Ort der Stille bleibt. Zumindest soll es Veränderungen geben.
Spätestens seit dem 13. Jahrhundert sollte die Burg mit den zwei halbrunden Türmen das Territorium von Todi nach Süden hin sichern. Nach wechselnden Besitzverhältnissen und vielen grausamen Schicksalen erwarb 1607 der Florentiner Kaufmann Bartolommeo Corsini die Burg. Sie blieb im Besitz der Familie, bis die letzte Eigentümerin insolvent wurde. Sie hatte versucht, in dem Borgo ein Hotel und ein Restaurant zu betreiben und dabei Schiffbruch erlitten. Die Bewohner sagen, sie sei dazu nicht fähig gewesen. In der Zwangsversteigerung kaufte 2018 das familiengeführte Agrarunternehmen Terre Del Papa das Anwesen. Die Terre Del Papa war an den dazugehörenden 600 Hektar Land interessiert, auf dem sie jetzt in biologischem Anbau Olivenöl produziert.
So kam es zum nächsten Verkauf. Die Burg und die 13 Häuser wurden von der apulischen Gesellschaft Borgo Egnazia erworben. Diese, ebenfalls familiengeführt, betreibt in Apulien Luxusresorts. Die Burg soll zu einem 5-Sterne-Hotel werden, die Häuser sollen in Apartments umgewandelt werden.
Die noch bewohnten Häuser müssen bis zum 31.12.2025 geräumt werden. Mit den Umbauarbeiten soll Ende 2026 begonnen werden.
Die vormaligen Eigentümer der Häuser sind froh über den Verkauf. Sie pokerten mit den Erinnerungen an ihre Elternhäuser und bekamen einen guten Preis für ihre ansonsten wohl unverkäuflichen Immobilien.
Der Ort Sismano, der wenige hundert Meter vom Borgo entfernt liegt, zählt ungefähr 300 Einwohner und ist vom Aussterben bedroht. Es gibt keine Arbeitsplätze, Schulen und Einkaufsmöglichkeiten sind weit weg. Wer kann, geht weg, und es bleiben die Alten.
Ob ein Luxusresort, das nicht allzu groß ist und sollte es denn kommen, dem Ort wieder Leben einhauchen kann? Im allgemeinen bieten Hotellerie und Gastronomie nicht gerade die gut bezahlten Jobs.
Palermo
"Nein, nach Palermo komme ich nicht mit." Mir war sofort klar, dass Fiorellas Entscheidung unverrückbar war. Es folgte noch ein Fluch auf den sonst von ihr verehrten Garibaldi, der Sizilien in das vereinte Italien einbrachte. Für sie ist Palermo Mafia, Korruption, Armut, Drogen, verfallene Bauten, schmutzige Straßen.
Sicher gibt es weiter die Mafia. Vielleicht einflussreicher als je zuvor. Aber heute ist sie als kaufmännischer Geschäftsbetrieb organisiert. Einschüchterungen und Morde finden eher im verborgenen statt.
Anders in den 80-er Jahren, als der Kampf zweier rivalisierender Clans, angestachelt durch das schnelle Geld mit den Drogen, allein auf Sizilien über 1800 Tote kostete. Damals tobte der Bürgerkrieg im Libanon, und mein Eindruck war, in Neapel und Palermo gab es mehr Tote.
Ich habe die Fotos der Letizia Battaglia gesehen, die Nacht für Nacht den Polizeifunk abhörte, war dann meist als erste am Tatort, um die durchschossenen, blutverschmierten Leichname zu fotografieren,. Das Foto, auf dem der heutige Staatspräsident Mattarella seinen neben ihm erschossenen Bruder, damals Präsident der Region Sizilien, aus dem Auto zerrt, hat eine mehr als ikonographische Bedeutung für die Geschichte des Landes.
Und natürlich Leoluca Orlando, für mich ein Held, der der Stadt wieder Sicherheit, Kultur und Würde gab. Im sichereren Zürich konnte ich ihn sehen, als er, bewacht von Leibwächtern mit Knopf im Ohr, sein Buch vorstellte. Ein Mensch mit Kultur, Humor und Selbstironie, der sich - wie viele andere auch - seines Wegs sicher war und dafür sein Leben riskierte.
Was kann mich noch an Palermo interessieren? Natürlich die Blüte der Stadt unter Arabern, Normanen und Staufern. Die Herrschaft der Franzosen, Spanier und Österreicher steht für Niedergang.
Friedrich II., das "chint von Pülle", von den Zeitgenossen "stupor mundi" genannt, ist auf herausfordernde Weise eine moderne Gestalt. Mit dem Islam lebte er auf fruchtbare Weise zusammen, der weltlichen Macht des Papstes trotzte er und düpierte sie, indem er den Zugang zu den heiligen Stätten Jerusalems über Verhandlungen mit Saladin erreichte; der Papst hingegen wollte einen Kreuzzug mit Plünderungen und Gemetzel. Obwohl der Poesie zugetan, schrieb er mit seinem Buch über die Falknerei das erste erfahrungswissenschaftliche Werk Europas. Friedrichs Grab in der Kathedrale von Palermo ist stets mit frischen Blumen geschmückt.
Schon beim Anflug auf Palermo begegnet man dem Thema Mafia. An einer für einen Flughafen ungeeigneten Stelle wurde auf Betreiben der Mafiafamilien aus Cinesi an der Landzunge Punta Raisi Ende der 50-er Jahre der Flughafen gebaut. Die Fallwinde vom Monte Pecoraro und die Lichtspiegelungen des Meeres bergen Gefahren bei Starts und Landungen. Die Mafiafamilien aus Cinesi wollten die Kontrolle über den Herointransport in die USA zu haben. Mafia und korrupte Politiker verdienten am Bauboom rund um den Flughafen. Zuvor jedoch waren die dort ansässigen Bauern von Polizei und Militär gewaltsam und fast entschädigungslos vertrieben worden.
Es ist eine makabre Ironie des Schicksals, dass der Flughafen 1992 die Namen von Falcone und Borsellino erhielten. Giovanni Falcone und Paolo Borsellino waren mit ihren Ermittlungen ins Innerste der Mafia vorgedrungen. Totò Riina, der Boss der Bosse, hatte ihre Ermordung in Auftrag gegeben.